In Wort mit Lukas Bärfuss
Zeugenschaft ist für Lukas Bärfuss ein ganz wichtiger Begriff in der Literatur: aus einer singulären Erfahrung heraus zu schreiben und zu berichten, was wirklich geschehen ist. Doch wie lassen sich solche persönlichen Zeugnisse in andere Sprachen übertragen, und welche neuen Bedeutungsräume entstehen dabei? Welche Resonanz findet ein Thema wie Selbstmord beispielsweise in der russischen oder armenischen Gesellschaft? Darüber sprechen wir mit dem Autor Lukas Bärfuss, seinem russischen Übersetzer Michail Rudnizki und seiner armenischen Übersetzerin Gayane Ginoyan. Beide haben Koala übersetzt und berichten von den Herausforderungen und Erkenntnissen, die diese Arbeit mit sich bringt. Warum weiß Gayane Ginoyan noch
nach Jahren genau, dass das Buch 165 Eigennamen enthält? Welche Parallelen sieht Michail Rudnizki zwischen Bärfuss’ Koala und Kafkas Werk? Teilen die Übersetzer:innen die Freude des Autors an der Sprache eines ausgestorbenen Sattlerberufs? Und wann ist eine Übersetzung wirklich fertig? Diesen und vielen anderen Fragen werden wir im Gespräch nachgehen.
Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun, ist Dramatiker,
Romancier und streitbarer Publizist. Seine Stücke werden weltweit gespielt, die Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt. Lukas Bärfuss ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt in Zürich. Für seine Werke wurde er u.a. mit dem Berliner Literaturpreis, dem Schweizer Buchpreis und dem
Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen Vaters Kiste (2022) der Die Krume Brot (2023).
Gayane Ginoyan ist eine promovierte Germanistin und Literaturübersetzerin aus Armenien. Seit 1994 lehrt sie als Dozentin an der Staatlichen Brjussow-Universität Jerewan. 2005 promovierte sie zum Thema Die Entfremdung und Erinnerung in den Erzählschriften von Thomas Bernhard und Christoph Hein. Seit 2010 arbeitet sie als freiberufliche Literaturübersetzerin. Sie hat 15 Romane und zwei Erzählbände aus dem Deutschen ins Armenische sowie zwei Erzählbände aus dem Armenischen ins Deutsche in Zusammenarbeit mit deutschen Übersetzer:innen übersetzt. Dreimal leitete sie die deutsch-armenische Übersetzerwerkstatt,
organisiert vom Goethe-Institut Georgien, dem Goethe-Zentrum Eriwan, dem Toledo-Programm und der DÜF. 2015 initiierte und leitete sie das Übersetzungsprojekt eines Sonderbandes der Zeitschrift Granish mit Erzählungen zeitgenössischer deutscher Autoren. Seit 2012 hat sie diverse Stipendien erhalten, darunter das
Charles-Holenstein-Looren-Stipendium und ein Residenzstipendium im EÜK Straelen.
Michail Rudnizki studierte Germanistik an der M. W. Lomonossow-Universität Moskau. Er ist Autor zahlreicher
literaturwissenschaftlicher und kritischer Artikel über die deutschsprachige Literatur von der Romantik bis zur Gegenwart. 1976 verteidigte er seine Doktorarbeit zur Poetik von Rainer Maria Rilke. Seit Anfang der 1980er-Jahre arbeitet er als Literaturübersetzer. Er übersetzte aus dem Deutschen ins Russische Gedichte von Heinrich Heine und Rainer Maria Rilke, Novellen, Romane und Prosa von Franz Kafka, Stefan Zweig, Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass und Christa Wolf, Publizistik von Joseph Roth, Theaterstücke von Bertolt Brecht, Thomas Bernhard und Botho Strauß, Aphorismen von Robert Musil, Essays von Walter Benjamin und Elias Canetti sowie philosophische Fragmente von Friedrich Nietzsche. Darüber hinaus übertrug er Werke zeitgenössischer deutschsprachiger Autoren wie Peter Handke, Adolf Muschg, Thomas Brussig und Lukas Bärfuss ins Russische. Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Preis der Zeitschrift Ausländische Literatur (1996), dem W. A. Schukowski-Preis (2002), dem «Meisterpreis» (2014) und dem Deutschen Übersetzungspreis (2014).